Kindeswohl im Sportverein

Vereinbarung zum Kindeswohl zwischen dem Sportkreis Main-Kinzig e.V. und dem Main-Kinzig-Kreis


Seit einigen Jahren werden Vereine von Gemeinden angehalten, sich von Ihren „Betreuern“ regelmäßig erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen zu lassen. Der Sportkreis Main-Kinzig e.V. hat im Zuge dessen die Initiative ergriffen und mit dem Main-Kinzig-Kreis zum Wohl der von uns betreuten Kinder eine Vereinbarung geschlossen.

 

Was ist ein „erweitertes polizeiliches Führungszeugnis“?

 

Aus einem einfachen polizeilichen Führungszeugnis gehen nicht sämtliche Strafverurteilungen hervor. „Geringfügigere Delikte“, welche bspw. lediglich zu einer Verurteilung von bis zu 3 Monaten Freiheitstrafe oder bis zu 90 Tagessätzen (3 Monatsgehälter) führen, sind in einem einfachen polizeilichen Führungszeugnis nicht aufgeführt. Nicht jede Straftat (bspw. eine im ersten Schreckmoment unüberlegte Unfallflucht nach einem „Parkplatzrempler“) soll dazu führen, dass ein Eintrag in das polizeiliche Führungszeugnis erfolgt, wodurch der Betroffene möglicherweise erheblichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist.

 

Das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis wurde im Jahr 2010 eingeführt. Es kann Personen erteilt werden, die beruflich, ehrenamtlich oder in sonstiger Weise kinder- oder jugendnah tätig sind oder tätig werden sollen. Die Einführung bezweckt unmittelbar den Schutz Minderjähriger. Über die Angaben in einem einfachen polizeilichen Führungszeugnis hinaus sind darin zusätzlich selbst geringfügige Verurteilungen aufgeführt, die mit Sexualstraftaten oder sonstigen Straftaten im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen stehen (z.B. sexueller Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen, Exhibitionismus, Verbreitung pornographischer Schriften, aber auch Entziehung Minderjähriger, Kinderhandel und so weiter).

 

Warum fordern Gemeinden Sportvereine auf, sich von „Betreuern“ erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen zu lassen?

 

Mit der Schaffung des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses wurde im Sozialgesetzbuch 8 – Kinder- und Jugendhilfe eine weitere Regelung, der § 72a SGB VIII, eingeführt. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe dürfen demnach keine Person beschäftigen oder vermitteln, die wegen einer der vorgenannten Straftaten verurteilt wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen sich die Träger bei der Einstellung und auch im Anschluss regelmäßig von ihren Mitarbeitern erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen lassen. Sie können diese auch selbst beantragen, falls sich der Betroffene weigert. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass keine einschlägig vorbestrafte Person Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe wahrnimmt und Minderjährige beaufsichtigt, betreut, erzieht, ausbildet oder sonst ein entsprechender Kontakt hergestellt wird.

 

§ 72a SGB VIII betrifft direkt lediglich die öffentlichen Träger der Jugendhilfe. In § 72a Abs. 4 SGB VIII ist geregelt, dass durch zu schließende Vereinbarungen mit Trägern der freien Jugendhilfe und Vereinen, die Pflegschaften und Vormundschaften für Kinder und Jugendliche übernehmen (Vereine gem. § 54 SGB VIII), sichergestellt werden soll, dass auch dort keine Person entsprechende Aufgaben wahrnimmt.

 

Die wenigsten Sportvereine sind tatsächlich direkt im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Sie fallen damit nicht unter die Regelungen des § 72a SGB VIII. Die Übergänge sind aber in vielen Fällen fließend und eine Abgrenzung schwierig. Unabhängig von einer Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe bieten Sportvereine Minderjährigen im weitesten Sinne Räume, in denen diese sich oft viele Stunden in der Woche gemeinsam mit ihren „Betreuern“ aufhalten. Im Sportkreis Main-Kinzig sind über 41.000,- Mitglieder Jugendliche unter 18 Jahren. Sportvereine sind damit leider für Personen, die aus unlauteren Motiven den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen suchen, von besonderem Interesse. Uns trifft im Zuge dessen eine besondere Verantwortung. Deshalb strebt die Politik auf allen Ebenen im Sinne der Prävention vergleichbare Regelungen mit Sportvereinen an, um diese für das wichtige Thema Kindeswohl zu sensibilisieren.

 

Kostet das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis etwas? Wer kann es beantragen?

 

Wer ehrenamtlich tätig ist, kann die Erteilung des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses regelmäßig kostenlos beantragen. Zum Nachweis der ehrenamtlichen Tätigkeit reicht meist eine formlose Bestätigung des Sportvereins. Sportvereine können das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis nicht beantragen. Da es sich hierbei um sensible Daten handelt, kann die jeweilige Person, für die es ausgestellt werden soll, dieses lediglich selbst beantragen. Der Sportverein hat es sich entsprechend lediglich vorlegen zu lassen und nicht aufzubewahren oder sonst zu speichern. Hierfür sollte eine Person innerhalb des Vereins bestimmt werden, der die Vorlage in einer Liste schlicht „abhakt“.

 

Kindesmissbrauch – doch nicht bei mir im Verein?

 

Zahlreiche Beispiele zeigen, dass eine besondere Aufmerksamkeit nötig ist, damit mögliche Täterinnen und Täter die besonderen Rahmenbedingungen im Sportverein nicht für Grenzüberschreitungen und sexuellen Missbrauch ausnutzen können. Aktuelle Pressemeldungen

 

um den Ex-Teamarzt des US-Turnverbands Larry Nassar, in denen vom sexuellen Missbrauch hunderter Opfer über drei Jahrzehnte hinweg berichtet wird, verdeutlichen, dass Übergriffe bis in die höchste Verbandsebene existieren. Für „Betreuer“ Minderjähriger ist es besonders leicht, eine unsittliche Berührung bspw. mit der Begründung einer

„Hilfestellung“ abzutun. Gleichzeitig fällt es betroffenen Kindern und Jugendlichen besonders schwer, einem „Betreuer“ die Stirn zu bieten, mit dem sie viele Jahre 20 Stunden in der Woche und mehr zusammengearbeitet haben und der sie zu Titeln und Meisterschaften geführt hat. Gerade das Beispiel des US-Team-Arztes zeigt, dass „Betreuer“ gegenüber Kindern oft eine Vertrauens- und Machtposition einnehmen, welche Übergriffe erleichtert und das Aufdecken solcher Übergriffe erschwert. Wer hätte gedacht, dass selbst auf der professionell geführten Verbandsebene die Taten eines anerkannten Team-Arztes über Jahrzehnte hinweg unentdeckt bleiben können? Wir Sportvereine müssen eine Kultur des Hinsehens zum Wohl der von uns betreuten Kinder leben. Der Schutz des Kindeswohls hat höchste Priorität und darf nicht vernachlässigt werden.

 

Was ist Inhalt der Vereinbarung zwischen dem Sportkreis Main-Kinzig und dem Main-Kinzig-Kreis?

 

Ziel der Vereinbarung ist der bestmögliche Schutz unserer Kinder. Umgekehrt müssen Bürokratie sowie die möglichen Überprüfungen der neben- und ehrenamtlich tätigen Personen an die Gegebenheiten im Sport angepasst werden. Mit der Vereinbarung ist im Sinne einer umfassenden Abwägung ein Weg gefunden, um auf der einen Seite den erforderlichen Schutz der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten und auf der anderen Seite die ehrenamtlich geführten Vereine nicht in Verwaltungsvorschriften „ersticken zu lassen“. Natürlich ist zu gewährleisten, dass einschlägig vorbestrafte Personen in unseren Sportvereinen nicht als „Betreuer“ beschäftigt werden. Der Sportkreis Main-Kinzig hat hierauf aufbauend eine Vereinbarung mit dem Main-Kinzig-Kreis entwickelt, mit der diese Ziele bestmöglich erreicht werden sollen.

 

Zu Beginn einer Tätigkeit und dann alle 5 Jahre ist im Sinne der Prävention das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis vorzulegen. Zu den vorlagepflichtigen Personen zählen solche, die Minderjährige „betreuen und beaufsichtigen“. Regelmäßigkeit und/oder die Durchführung von Übernachtungen sind nach der Vereinbarung Einstiegskriterien und führen immer zu einer Vorlagepflicht. Um zu bestimmen, wer außerdem zum vorlagepflichtigen Personenkreis zählt, sind der Vereinbarung detaillierte Anlagen als Orientierungshilfe beigefügt. Jeder Sportverein soll hierdurch in die Lage versetzt werden, eine Beurteilung vorzunehmen. Das Gefährdungspotential kann anhand einfacher, ausführlich erklärter Kriterien zur „Art, Intensität und Dauer“ der Tätigkeit leicht eingeschätzt und danach das weitere Handeln ausgerichtet werden. Der Kriterienkatalog ist durch zahlreiche, praxisnahe Beispiele mit Handlungsempfehlungen ergänzt. Zudem ist eine Orientierungshilfe angefügt, welche mit einfachen Ja/Nein-Fragen eine weitere Hilfestellung in der Bewertung darstellt, ob ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen ist oder nicht. Die Vereinbarung enthält einen vom Main-Kinzig-Kreis akzeptierten Dokumentationsbogen, mit dem der jeweilige Sportverein die erfolgte Einsicht ohne viel bürokratischen Aufwand festhalten kann. Die vom Landessportbund entwickelte und bereits seit vielen Jahren herausgegebene persönliche Ehr- und Verpflichtungserklärung, welcher ohnehin jeder Trainer unterschreiben soll, schließt die Vereinbarung ab. Verknüpft wird diese präventive Maßnahme mit einer Sensibilisierung aller Sportvereine für das Thema Kinder- und Jugendschutz durch die Bereitstellung von Informationen und regelmäßige Qualifizierung. Der Main-Kinzig-Kreis stellt für Beratungsleistungen erfahrene Fachkräfte zur Verfügung. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass Übergriffe auf betreute junge Menschen schnellstmöglich aufgedeckt und im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit abgestellt werden.

 

Die Vereinbarung wird bereits zur Übernahme als „Modellvereinbarung“ in anderen Sportkreisen diskutiert. Wer „Betreuer“ und von wem ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen ist, wird bisher von Sportkreis zu Sportkreis unterschiedlich behandelt. Kreisjugendämter vertreten teilweise die Ansicht, dass wirklich jeder, der Kinder „betreut“ – beispielsweise auch der Vater, der gelegentlich vier Kinder mit seinem PKW zu einem Auswärtsspiel fährt – ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen hat. Dies stellt Sportvereine vor nicht zu leistende bürokratische Hürden. Die vom Sportkreis Main-Kinzig in Abstimmung mit dem Main-Kinzig-Kreis getroffene Vereinbarung nimmt hingegen eine umfassende Interessenabwägung vor, die leicht verständlich ist. Sie beinhaltet organisatorisch einfach umzusetzende Handlungsanweisungen und liefert hierfür erforderliche Muster gleich mit. Es ist an uns, diese zum Schutz unserer Kinder umzusetzen.

 

 

Text: Michael Scragg

 

Zum Autor:

Michael Scragg ist seit seiner Jugend im Sport engagiert.

Er ist u.a. Sprecher der Interessengemeinschaft Hanauer Sportvereine, auf Vereinsebene Vorstandsmitglied und Trainer sowie Vizepräsident des Hessischen Schwimmverbandes.

Beruflich ist er als Rechtsanwalt in Hanau tätig.)